Veranstaltung: | LDK Emden |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Aktuelle Stunde "Raus aus der Krise – mit einem handlungsfähigen Staat und sozial-ökologischen Investitionen" |
Antragsteller*in: | Landesvorstand (dort beschlossen am: 06.06.2021) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 08.06.2021, 13:38 |
Resolution: Raus aus der Krise – mit einem handlungsfähigen Staat und sozial-ökologischen Investitionen
Antragstext
Die Corona-Pandemie bedeutet für viele Menschen existenzielle Belastungen –
gesundheitlich, sozial und wirtschaftlich. Über 89.000 Todesfälle, über 3,7
Millionen Infizierte, von denen mehr als jede*r Zehnte lange unter den Folgen
von Long Covid leiden wird. Neben wirtschaftlichen Einbußen historischen
Ausmaßes werden schon bestehende Ungleichheiten weiter verstärkt. Kinder und
Jugendliche, Frauen, Menschen mit geringem oder keinem Einkommen und andere
vulnerable Menschen – ausgerechnet diejenigen, die von der Pandemie besonders
betroffen sind, werden von der Landes- und Bundesregierung viel zu wenig
beachtet.
Auch für die Wirtschaft und die öffentlichen Haushalte fällt die Zwischenbilanz
nach über einem Jahr Corona dramatisch aus: 34.000 Unternehmen haben Corona-
Nothilfen in Form von Krediten beantragt, 2,3 Millionen Menschen sind auch im
Mai 2021 noch in Kurzarbeit, die Zahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten ist um rund 750.000 gegenüber dem Vorkrisenniveau gesunken. Mit
rund 1,5 Billionen Euro dürften die Pandemie-Kosten für die öffentlichen
Haushalte zu Buche schlagen.
Gleichzeitig lebt unser Land von der Substanz. Die Investitionsquote – also die
Investitionen anteilig am Bruttoinlandsprodukt – liegt im europäischen Vergleich
am unteren Ende. Insbesondere der Anteil des Staates an den Investitionen sinkt
seit Jahren. Schulen, Freibäder und Brücken verfallen; anstatt den Turbo zu
zünden, stockt der Ausbau der erneuerbaren Energien, der digitalen Netze und des
ÖPNV. Unser Gesundheitssystem ist auf Wirtschaftlichkeit getrimmt und deshalb
„auf Kante genäht“, Reservekapazitäten, die aber als Teil der Daseinsvorsorge
dringend erforderlich sind, sind völlig unzureichend. Gleichzeitig sind wir
weiterhin mitten in der globalen Klima- und Biodiversitätskrise – wir zerstören
unsere eigene Lebensgrundlage. Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der
klimagerechten Mobilität stocken.
Statt sich wie die niedersächsische Landesregierung krampfhaft auf die Schwarze
Null zu fixieren, brauchen wir eine Investitionsoffensive! Nur so können wir mit
der Krisenbewältigung die richtigen Weichen für eine sozial-ökologische
Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft stellen.
Doch statt hier die nötigen Mittel bereitzustellen, befindet sich die
niedersächsische Landesregierung aus SPD und CDU eineinhalb Jahre vor der
Landtagswahl schon im Wahlkampfmodus gegeneinander. Das zeigt sich auch im
mangelhaften Krisenmanagement in der Corona-Pandemie: Langsam, widersprüchlich
und intransparent. Mit dem Chaos bei Corona-Verordnungen, Teststrategie und
Impfkampagne hat die Landesregierung ebenso wie die Bundesregierung wertvolles
Vertrauen in die staatlichen Institutionen und in unsere Demokratie verspielt.
Das ist brandgefährlich. Wir brauchen dringend mehr staatliche
Handlungsfähigkeit auf allen Ebenen.
Krisenbewältigung durch Investitionen in die Zukunft
Angesichts der Corona-Krise ist Kaputtsparen keine Option. Wir müssen jetzt
investieren, um schnell und kraftvoll aus der Krise herauszukommen. Mangelnde
Investitionen in Infrastruktur und Daseinsvorsorge, Bildung oder Klimaschutz
belasten nachfolgende Generationen und sind schwere Hypotheken auf die Zukunft.
CDU-Finanzminister Hilbers sorgt mit seinem Spardiktat dafür, dass weiter Kinder
und Familien und Kitas auf der Strecke bleiben. Wir brauchen ein gut ausgebautes
Gemeinwesen, intakte Lebensgrundlagen und zukunftsfähige Arbeitsplätze.
Für diese notwendigen Investitionen ist unser Staat nicht ausreichend
handlungsfähig. Insbesondere die Kommunen, die für den größten Teil der
öffentlichen Investitionen und den klimagerechten Ausbau der sozialen
Infrastruktur zuständig sind, haben unter enormen Steuerausfällen zu leiden. Das
hat eklatante Folgen für Schulen, Krankenhäuser und Schwimmbäder genauso wie für
Beratungsstellen und Jugendhilfeangebote. Mit dem Niedersachsenfonds in Höhe von
10 Milliarden Euro wollen wir daher gezielt in soziale Infrastruktur und
Klimaschutz investieren. So schaffen wir neues öffentliches Vermögen, anstatt es
verfallen zu lassen. Auch mit einer neuen Landeswohnungsbaugesellschaft muss die
Landesregierung Verantwortung übernehmen und kann gleichzeitig nachhaltige
Wertschöpfung schaffen.
Damit Bund und Länder im notwendigen Umfang investieren können, muss die
Schwarze Null für Investitionen aufgegeben werden. Wir müssen jetzt investieren,
um für die Zukunft gerüstet zu sein. Ein Haushaltsausgleich nützt nichts, wenn
gleichzeitig Schulen, Hochschulen und Kliniken nicht klimagerecht saniert werden
und der Ausbau des ÖPNV auf der Strecke bleibt. Die Bedingungen für
Investitionen sind auch durch die niedrigen Zinsen jetzt optimal – die
Gesellschaft würde einen viel höheren Preis zahlen, wenn wir jetzt die
erforderlichen Mittel jetzt nicht bereitstellen.
Auch die notwendige Qualifizierung unseres Bildungssystems, der Ausbau der
Betreuungsinfrastruktur z.B. für Kinder und pflegende Angehörige und der Ersatz
von Hartz IV durch eine Garantiesicherung sind nicht zum Null-Tarif zu haben.
Gleichzeitig werden die Steuereinnahmen selbst bei zügiger wirtschaftlicher
Erholung das Vorkrisenniveau erst langsam wieder erreichen. Um die soziale
Schieflage überwinden zu können, müssen wir die Einnahmen des Staates erhöhen,
indem wir Ungerechtigkeiten im Steuersystem angehen: Die großen Einkommen und
Vermögen müssen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit stärker zur Finanzierung
unseres Gemeinwesens beitragen. Wir müssen konsequent gegen Steuerhinterziehung
und -vermeidung vorgehen, denn dadurch verliert die Gesellschaft jedes Jahr
Milliardenbeträge. Klima- und umweltschädliche Subventionen müssen gestrichen
und internationale Konzerne angemessen besteuert werden.
Für eine neue politische Kultur
Bundes- und Landesregierung haben mit ihrem mangelhaften Krisenmanagement viel
Vertrauen verspielt. Die Liste der Versäumnisse, der falschen Entscheidungen und
chaotischen Abläufe ist lang.
Insbesondere zu Beginn der Coronakrise wurden vulnerable Gruppen unzulänglich
geschützt, pandemische Krisenherde gar nicht oder zu spät identifiziert.
Schutzausrüstung stand bei weitem nicht im ausreichenden Maß zur Verfügung.
Teststrategien wurden nicht erarbeitet. Das Impfchaos hat zu einer erheblichen
Verunsicherung beigetragen. Verordnungen waren und sind in sich nicht stimmig
und teilweise widersprüchlich. Von der Pandemie und ihren Folgen besonders
betroffene Personengruppen sind gar nicht oder zu spät ins Blickfeld gekommen.
Die Runde der Ministerpräsident*innen wurde immer mehr zur Bühne für
Profilierungswut und Wahlkampfgetöse statt für effiziente und demokratische
Entscheidungen.
Es ist klar geworden, dass wir eine neue Art und Weise brauchen, wie Regierungen
das Land führen. Es braucht die Bereitschaft, Zustände und Konzepte zu
hinterfragen und zu lernen, sowie offene, konstruktive Diskussionen. Und es
braucht die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und die
Entscheidungsgrundlagen zu erklären. Dazu gehört eine offene und ehrliche
Aufarbeitung politischer Fehler auf allen Ebenen und eine neue Fehlerkultur.
Fehler dürfen nicht verdrängt, bagatellisiert oder reflexhaft skandalisiert
werden, sondern sie müssen klar benannt werden und Fehleinschätzungen aufgeklärt
werden. Ziel ist, dass zukünftigen pandemischen Gefahrensituationen durch
nachvollziehbares Handeln begegnet werden kann.
Deshalb fordern wir eine aus Vertreter*innen des Bundes, der Länder und Kommunen
zusammengesetzte Kommission, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Corona-
Pandemie klare Handlungsabläufe erarbeitet. Wir brauchen klarere Regelungen, die
schnelle Entscheidungen auch unter Einbeziehung von Institutionen und Verbänden
sowie der Parlamente ermöglichen. Dabei ist auch zu prüfen, ob die
Regelungsdichte für nachgeordnete Behörden und Institutionen in diesem Umfange
erforderlich ist. In einer Pandemie, in der Infektionszahlen exponentiell
steigen, ist schnelles und vorausschauendes Handeln unerlässlich. Gerade bei
Regelungen, die massiv in die Grundrechte eingreifen, ist auch der Dialog mit
Verbänden und Kommunen wichtig. Regeln müssen transparent und nachvollziehbar
sein und – wenn keine akute Gefahrenlage droht – mit ausreichend Vorlaufzeit
beschlossen werden.
In Niedersachsen sind SPD und CDU schon jetzt im Wahlkampf gegeneinander.
Aktuelle Corona-Verordnungen werden unzureichend abgestimmt und kommen dennoch
wegen Konflikten innerhalb der Koalition unzumutbar kurzfristig. Wer 15 Monate
nach Pandemiebeginn am Sonntagabend eine neue Verordnung bekanntgibt, die vier
Stunden später in Kraft tritt und nur wenige Stunden später erneut geändert
werden muss, dem fehlt es an Weitsicht, Entscheidungskraft und
Handlungsfähigkeit. Dass sich Ministerpräsident Weil bei der zentralen Aufgabe
des Krisenmanagements weitgehend raushält, ist Führungsversagen.
Der so entstandene Eindruck der Handlungsunfähigkeit des Staates bei seiner
wichtigsten Aufgabe, dem wirksamen Schutz seiner Bürger*innen, birgt die Gefahr
einer fundamentalen Akzeptanz- und Vertrauenskrise, die an den Grundfesten der
staatlichen Institutionen und des gesellschaftlichen Zusammenhalts rüttelt. Hier
braucht es eine neue politische Kultur der Bereitschaft zur Übernahme von
staatlicher Verantwortung, der Transparenz und des Dialogs.
Gerade in Krisenzeiten brauchen wir einen starken, handlungsfähigen Staat –
sowohl für die staatliche Daseinsvorsorge und die nötigen Zukunftsinvestitionen
als auch zur Bewältigung der Pandemie. Der „Großen Koalition“ aus SPD und CDU
fehlt für beides der Wille und die Kraft – es ist Zeit für GRÜNE in
Verantwortung, auch in Niedersachsen!
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