Veranstaltung: | LDK Emden |
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Tagesordnungspunkt: | 11. Weitere Anträge |
Antragsteller*in: | LAG Kinder-Jugend-Familie (dort beschlossen am: 05.06.2021) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 06.06.2021, 14:35 |
A5: Für mehr Solidarität und Kinderrechte in der Armutsprävention für Kinder und Jugendliche
Antragstext
(Antrag abgestimmt mit und unterstützt von der LAG Frauen)
Wie unter einem Brennglas hat sich in der Corona-Krise gezeigt, dass
armutsbetroffene Kinder und Jugendliche und ihre Familien stärker und härter von
krisenhaften Ereignissen betroffen sind als finanziell gut situierte Familien.
Deutlich wird, dass die bestehenden Versorgungsstrukturen die Nachteile
niedriger Erwerbseinkommen oder den Bezug von Grundsicherung wie Hartz IV nicht
ausgleichen. Besonders betroffen sind bestimmte Gruppen wie Alleinerziehende,
kinderreiche Familien, Familien mit langjährig chronisch Erkrankten und
zugewanderte Familien.
So hat die Coronakrise gezeigt, dass öffentliche Angebote und Einrichtungen für
arme Kinder und Jugendliche eben nicht nur zum Wissenserwerb oder zur
Freizeitgestaltung von Bedeutung sind. Vielmehr wird deutlich, was die Fachwelt
bereits seit Jahren einfordert: Für die gesunde Entwicklung von Kindern und
Jugendlichen, für ihre emotionalen, psychischen und körperlichen
Grundbedürfnisse, wie Nahrung und medizinische Versorgung, Schutz vor
psychischer und physischer Gewalt und Vernachlässigung sowie ihr Recht auf
Bildung und soziale Teilhabe sind die öffentlichen Angebote unentbehrlich.
Beispielsweise fiel das gesunde und warme (Mittag-)essen in Kindertagesstätten
und an Schulen monatelang aus, fehlte die Hausaufgabenbetreuung und die
schulische Begleitung für Kinder. Kinder und Jugendliche wurden extrem in ihrer
Mobilität eingeschränkt und verschwanden fast vollständig aus den öffentlichen
Räumen.
Armutsbetroffene Kinder und Jugendliche haben zwar Anspruch auf Leistungen nach
dem Bildungs- und Teilhabegesetz, häufig ist dieser Anspruch jedoch an den
Besuch und die gemeinschaftliche Verpflegung in Einrichtungen wie
Kindertagesstätten, Horten und Schulen gebunden. Mit deren Schließung fallen
diese Leistungen bzw. die entsprechende Anforderungsstruktur vielerorts weg. Die
Eltern können diese Defizite finanziell nicht ausgleichen. Kinder können nicht
angemessen ernährt oder gekleidet werden, wodurch sich die sozialen Unterschiede
und Stigmata in den Lebenslagen systematisch etablieren. Immer mehr Familien
leben unterhalb des Existenzminimums - mit allen wissenschaftlich belegten
Armutsfolgen in Bezug auf Gesundheit, Persönlichkeitsentwicklung und
Lebensperspektiven.
Darüber hinaus leben viele Familien auf engstem Raum - ohne ausreichende
Rückzugsmöglichkeiten, Garten oder Balkon und teilweise in einem schwierigeren
Umfeld mit durchschnittlich weniger Freizeit- und Naherholungsstrukturen. Nicht
selten fehlt zu Hause die technische Ausstattung für das Home-Schooling oder
auch die digitale Aufrechterhaltung von Kontakten. Viele Eltern können ihre
Kinder nur begrenzt bei ihren Entwicklungsaufgaben unterstützen.
Diese verschärfenden Bedingungen führten in vielen Familien zu Überforderung und
zu Gewalt, was die aktuellen Erhebungen zu den psychischen Folgen und die
Zunahme häuslicher und sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern auf tragische
Weise deutlich machen.
Gerade geflüchtete Familien sind oft von Armut betroffen, wenn sie in
Deutschland ankommen. Zwangsläufig bilden sich Parallelstrukturen.
Inklusionsangebote wie Spracherwerbskurse, die ohnehin nur für Menschen
außerhalb der EU vorgesehen sind, werden von staatlicher Seite häufig nicht
zeitnah eingeleitet und fielen coronabedingt sogar aus. Damit wird familiäre
Perspektivlosigkeit zementiert.
Die allermeisten Kinder und Jugendliche verhalten sich gerade überaus
solidarisch und verantwortungsbewusst – gerade auch gegenüber ihren älteren
Mitmenschen. Dies fordert einen hohen Preis: die überwiegende Zahl der Kinder
und besonders Jugendliche ziehen sich zurück und sind isoliert. Zunehmende
Vereinsamung ist die Folge. Auch wenn trotz Lockdown die Angebote der Kinder-
und Jugendarbeit grundsätzlich geöffnet blieben, waren viele
Trägerorganisationen verunsichert und ehrenamtliche Strukturen überfordert, so
dass viele Angebote, wie beispielsweise in Jugendzentren, Spielparks,
Familienzentren oder Horten, nicht oder nur eingeschränkt verfügbar waren.
Zusätzliche Mittel, die z.B. für die Wirtschaft niedrigschwellig ausgeschüttet
wurden, stehen für den Kinder- und Jugendbereich beispielsweise für ergänzende
Angebote bis heute aus. Kindern und Jugendlichen nützt ein bundesweites
Krisentelefon wenig, wenn sie Vorort keine Ansprechpersonen haben, zu denen sie
vermittelt werden können und denen sie vertrauen.
Lösungswege für zukünftige Krisen
Zusammenfassend ist es nicht nur, aber auch während einer Krise besonders für
von Armut betroffene Kinder und Jugendliche extrem wichtig, dass
- die Ernährungs- und Versorgungssituation gesichert wird,
- ergänzende und unterstützende Bildungsangebote ausgebaut werden,
- mehr und kindgerechte Bewegungs- und Ausweichmöglichkeiten geschaffen
werden,
- die niedrigschwelligen Anlauf- und Beratungsangebote ausgebaut werden,
- die bestehenden kommunalen Kinder-, Jugend- und Bildungseinrichtungen
krisenfest aufgestellt sind,
- alle kommunalen Einrichtungen niedrigschwellig zugänglich sind,
- in den Quartieren Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche zur Verfügung
stehen (z.B. offene Sprechstunden der Kinder- und Jugendarbeit)
- dass Sanktionen in der Grundsicherung abgeschafft werden.
Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien sollen grundsätzlich besonders
unterstützt werden. Wichtige Weichenstellungen für diese Unterstützung sind an
den folgenden Stellen vorzunehmen:
- Die Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Pädagog*innen hat sich
besonders in den Zeiten der Coronabelastungen als eine notwendige
Grundlage der Zusammenarbeit bewährt.
- Alle Eltern sollten bei Bedarf einen niedrigschwelligen Zugang zu den
professionellen Hilfen eines ortsnahen Familienzentrums oder
Jugendhilfeträgers in Anspruch nehmen können.
- Soziale Kriterien müssen z.B. bei der Frage der Notbetreuung – wie jetzt
in der Pandemie – mindestens gleichrangig zu z. B. rein epidemiologischen
Erwägungen berücksichtigt werden.
- Für zusätzliche Angebote muss zusätzliches Personal (u.a.
Lehramtsstudierende) mobilisiert werden.
- Frauenhäuser, Notunterkünfte, Kinderschutzzentren und andere Not-
Anlaufstellen brauchen feste Finanzierungszusagen.
- Dabei ist zu prüfen, wie stationäre Angebote für gewalttätige Männer zu
organisieren sind, um ggf. einen Umzug der von Gewalt betroffenen
Familienmitglieder zu vermeiden.
- Die Trägerorganisationen und die kommunalen Einrichtungen der Kinder- und
Jugendarbeit und der Jugendhilfe müssen von etwaigen Einsparmaßnahmen
verschont bleiben.
- Der Zugang zu technischen Geräten für das digitale Lernen und zu schnellem
Internet muss sichergestellt werden. Kinder in Armutshaushalten müssen
Endgeräte gestellt bekommen.
Aus der Coronakrise sozial-, jugend-, familien- und wirtschaftspolitisch lernen
Schon jetzt zeigen sich die Probleme einer Familienpolitik, die Armut immer noch
zu sehr als individuelles Schicksal über individuelle Leistungen wie Kindergeld,
Kinderzuschlag und Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zu lösen
versucht. Ziel muss sein, den Anspruch zu verfolgen, faire und gleiche
Entwicklungsbedingungen für Kinder und Jugendlichen Vorort zu schaffen.
- Die beste Armutsprävention ist ausreichend bezahlte Arbeit für die Eltern.
Dies setzt eine aktivere Arbeitsmarktpolitik voraus, die Menschen eine
Perspektive schafft.
- Wir brauchen endlich eine Kindergrundsicherung, die nicht auf die
Transferleistungen der Eltern angerechnet wird.
- Die soziale Infrastruktur muss so entwickelt werden, dass sie unabhängig
von individuellen Transferleistungen für arme Kinder- und Jugendliche
präventiv und entwicklungsfördernd wirkt. Denn monetäre
Individualleistungen wie Kindergeld- und zuschlag können fehlende
kommunale Infrastruktur-Maßnahmen zur Daseinsvorsorge von Kindern und
Jugendlichen nicht ersetzen.
- Die Regelsätze in der Grundsicherung müssen erhöht werden, wie sie das
Modell der Garantiesicherung der Grünen Bundestagsfraktion vorsieht.
- Das „Aufholpaket“ des Bundes muss durch einen Aktionsplan des Landes
ergänzt werden, der einen Schwerpunkt auf Freizeit-, Sport- und
Spielangebote setzt.
- Die konsequente Umsetzung der Kinderrechte in den Lebensbereichen Bauen
und Wohnen, Sozialraum und Mobilität, Gesundheit und Bildung, Wirtschaft
und Digitalisierung ist überfällig.
- Eine konsequente Beteiligung von Kindern und Jugendlichen kann unser
Gemeinwohl und das Zusammenleben für Alle positiv verändern und begrenzt
die Gefahr von Kinder- und Jugendarmut bzw. gibt positive Impulse in
Richtung der Selbstwirksamkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen.
Daraus ergeben sich folgende kommunal- und landespolitischen Forderungen:
- Einsatz einer*eines Kinder- und Jugendbeauftragten in jeder Kommune.
- Sozialräumliche Sozialplanung und Berichterstattung zu kommunaler Kinder-
und Jugendarmut.
- Die vereinfachte Beantragung von Sozialleistungen wie Grundsicherung und
Wohngeld.
- Stopp der Kostensenkungsverfahren und Sanktionen in der Grundsicherung.
- Sicherstellung der Grundversorgung mit Strom, Wärme Energie, Wasser,
Telefon und Internet.
- Ein „Sicher – Wohnen – Fond“ für Mieter*innen mit kleinem Einkommen bei
kurzfristigen Mietausfällen. Das Aussetzen von Zwangsvollstreckungen und
Zwangsräumungen von Mieter*innen.
- Die Bereitstellung von Fördermitteln in jeder Schulform zur Unterstützung
von lernschwächeren Schüler*innen, um Abschulungen abzuschaffen.
- Absicherung und langfristige Finanzierung von Jugendwerkstätten und von
Ausbildungsplatzgarantien.
- Fortführung der Programme zur Berufsorientierung an allen weiterführenden
Schulen in Zusammenarbeit mit den Verbänden und Kammern aus Wirtschaft und
Handwerk.
- Eine kindgerechte Verkehrs- und Stadtentwicklungsplanung, die angemessene
Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche vorhält.
Kommentare
Annette Friedrichs:
Gabriele Bartoszak:
Hier müssen Schulen und andere Bildungseinrichtungen bzw. Beratungsstellen sowohl Minderjährige als Eltern informieren bzw. fit machen. Darüber hinaus ist aktuell das Gesetz zum Schutz für sexualisierter Gewalt gegen Kinder verabschiedet wurden. Faktisch werden jetzt auch Schüler*innen mit kinderpornografischen Darstellungen von Mitschüler*innen bzw. deren Verbreitung jetzt strafrechtlich verfolgt. Das bedeutet u.a., dass die Schulen hier jetzt einen klaren Auftrag zur Aufklärung haben und Sexualpädagogik in die Lehrpläne gehört.
Mit diesem Antrag hat das aber eigentlich nichts zu tun, da mit diesem Positionspapier eher grundsätzlich der digitale Zugang für alle Kinder- und Jugendlichen organisiert werden soll, um niemanden aufgrund von mangelnden finanziellen Ressourcen der Eltern abzuhängen.